Samstag, 7. Juni 2025

Rezension: Das dünne Pferd // Stefanie vor Schulte

 WENN FRAUEN ZUSAMMEN HALTEN
 
 

 
Meine Meinung
Es passieren eigenartige Dinge in dem Land, das keinen Namen hat. Eltern vergessen ihre Kinder, die Kinder reagieren allergisch auf Erwachsene, die Natur fängt an sich zu wehren, alles deutet auf das Ende der Welt bzw. der Menschheit hin. Wir erfahren nicht, warum das so ist oder was der Auslöser war. Aria ist Krankenschwester und kümmert sich um die vergessenen Kinder in einem Krankenhaus. Mit ihrer Kollegin Marion beschließt sie mit 15 Kindern die Stadt zu verlassen und in ein verlassenes Badehotel am Meer zu ziehen. Dort treffen sie auf das Misstrauen der Einheimischen und den Widerstand der ansässigen Cowboys und sie entdecken ein abgemagertes Pferd, das Aria unbedingt retten will. 

Stefanie vor Schulte beschreibt ein Szenario der besonderen Art. Vieles ist nicht so ganz greifbar, nicht alles kann man verstehen. Vielleicht muss man auch nicht alles verstehen. Sie lässt auf jeden Fall sehr viel Raum für eigene Interpretationen. Es gibt sehr viele skurrile Situationen, die zum Teil auch verstörende Bilder im Kopf entstehen lassen. Ich muss aber gestehen, dass mich das in den Bann gezogen hat und bei mir sehr gut funktioniert hat. Ich denke, dass es mehrere Ebenen gibt, auf denen man diese Geschichte verstehen kann. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich alle Ebenen gelesen habe, aber das Pferd zum Beispiel, war für mich am Ende des Romans so viel mehr als nur ein Pferd. Die Geschichte lädt dazu ein, sie mehrmals zu lesen.

Die Autorin hat es trotz der Kürze geschafft, sehr viel Gesellschaftskritik mit einfließen zu lassen. Männerklischees werden aufs Korn genommen, gleichzeitig gibt es aber viele authentische Frauenfiguren. Der Umgang mit Kindern und der Natur regt zum Nachdenken an. Nur Marion fand ich etwas farblos und die Kinder hatten für mich zu wenig Präsenz. Es geht sehr viel um weibliche Widerstandskraft, Resilienz und Solidarität. Das war sehr erfrischend zu lesen. Ich bin doch mit Büchern und Filmen groß geworden, in denen Frauen und Mädchen gegeneinander aufgehetzt wurden, eifersüchtig waren oder als Rivalinnen dargestellt wurden. 

Der Schreibstil der Autorin ist sehr einfach und kurz gehalten, doch die Sprache, die sie verwendet, klingt irgendwie poetisch und gleichzeit roh und schnörkellos. Die bildlichen Darstellungen kommen trotz der Einfachheit nicht zu kurz. Ich musste mich anfangs an den Stil gewöhnen, habe mich aber dann schnell zurecht gefunden und das Buch in kürzester Zeit gelesen.
"Den Eltern ist es kein Trost. Sie fühlen sich schuldig. Wie konnten sie den Namen vergessen, wo sie sich doch sonst an alles erinnern. Wie das Kind aussieht, lacht, was es mag. Aber bald kommt ihnen das ebenso abhanden." (Das dunkle Pferd, S. 9)
 
Fazit
Ein Western mit Endzeitstimmung, in dem die Gewalt von Männern weiblicher Solidarität gegenüber steht. Ein stilistisch außergewöhnlicher Roman mit ebenso außergewöhnlicher Geschichte. Eine kleine Perle der Literatur.

 
 
 
Infos
  • Autorin: Stefanie vor Schulte, 1974 in Hannover geboren, ist studierte Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern in Marburg. Ihr erster Roman, ›Junge mit schwarzem Hahn‹, wurde 2021 mit dem Mara-Cassens-Preis für das beste deutschsprachige Debüt ausgezeichnet. (Quelle: https://www.diogenes.ch/leser/autoren/v/stefanie-vor-schulte.html 06.06.2025)
  • Einband: fester Einband
  • Seitenanzahl: 241 Seiten
  • Verlag: Diogenes
  • ISBN:   978-3-257-07313-3

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen