Dienstag, 21. April 2020

Rezension: Ein Lied für die Vermissten // Pierre Jarawan


EIN BUCH WIE EIN PUZZLE


Meine Meinung
Jarawans zweiter Streich. 
Nachdem ich nach dem Lesen seines Romandebüts vor vier Jahren ein großer Fan des Schreibstils des Autors wurde, konnte mich Pierre Jarawan mit seinem Nachfolgebuch wieder in seinen Bann ziehen. Wieder geht es um den Libanon, wieder geht es um Geheimnisse, die entschlüsselt gehören, und um Menschen, die plötzlich verschwinden. Aber dieses Buch ist doch anders als der Zedern-Roman. 

Der Hauptcharakter Amin schreibt hier über sein Leben. Er flüchtet als Baby mit seiner Großmutter vor dem Bürgerkrieg aus dem Libanon nach Deutschland, nach mehr als zehn Jahren kehren sie wieder zurück. Hier setzt die Geschichte an. Der Krieg ist vorbei, doch die Menschen und das Land wurden von ihm sehr geprägt. In Rückblenden erzählt der erwachsene Amin über seine Jugendzeit in einem neuen Land, Freundschaft, Familie, Glück sowie Verrat und das auf eine Art und Weise, die ich faszinierend fand.

Schon die ersten Seiten erzeugen einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Der Autor ist ein echter Hakawati, ein Geschichtenerzähler, der mit seinen Sätzen eine wahnsinnige Stimmung erzeugen kann und die einen mitten ins Geschehen ziehen. Gefühle und Emotionen werden (be)greifbar und Charaktere zum Leben erweckt. Die Geschichte ist wie ein Puzzle, das sich nach und nach zu einem großen Bild zusammensetzt. Bis zur Mitte des Romans macht Jarawan viele Andeutungen, was passiert sein könnte, hört mitten im Erzählen auf - meistens an den spannendsten Stellen - und fängt woanders wieder an, springt in der Zeit und fügt Erinnerungen zusammen. So verwirrend das auch klingen mag, so ist es das nicht. Es hält vielmehr die Spannung lange aufrecht und die einzelnen Erzählstränge ergänzen sich wunderbar. 

In der Mitte schleicht sich dann leider eine kleine Flaute ein, die bei mir das Bedürfnis nach der Auflösung und Enthüllung der Geheimnisse nur noch größer gemacht hat. Das Ende jedoch ist sehr befriedigend und stimmig, aber auch aufwühlend, alle Erzählstränge finden einen Schluss. Jarawan verknüpft mühelos Alltagsszenen mit hoch brisanten politischen Themen und geschichtlichen Ereignissen. Was hier erzählt wird, ist keine leichte Kost. Dieses Buch kann man nicht mal so nebenbei lesen, da es sehr komplex ist und zum Mit- und Nachdenken anregt. Auch die behandelten Themen lasten schwerer auf dem Gemüt als gedacht, nicht nur bei Amin, sondern auch bei mir als Leserin.

Fazit
"Ein Lied für die Vermissten" ist eine eindringliche Lektüre, die den Libanon und seine Menschen zu begreifen versucht, die Politisches mit Alltäglichem verknüpft und durch eine sog- und bildhafte Sprache wunderbare Szenen und Charaktere erschafft. Lest es!


Infos
  • Autor: Pierre Jarawan wurde 1985 als Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter in Amman, Jordanien, geboren, nachdem diese vor dem Bürgerkrieg geflohen waren. Im Alter von drei Jahren kam er mit seiner Familie nach Deutschland. Seit 2009 zählt er zu den erfolgreichsten Bühnenpoeten im deutschsprachigen Raum. 2012 wurde er Internationaler Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. »Am Ende bleiben die Zedern« ist sein Romandebüt, für das er 2015 das Literaturstipendium der Stadt München erhielt. Pierre Jarawan lebt in München. (Quelle: http://www.berlinverlag.de/autoren/pierre-jarawan-1201 18.2.2016)
  • Einband: Hardcover
  • Seitenanzahl: 464 Seiten
  • Verlag: Berlin Verlag
  • ISBN: 978-3-8270-1365-1


Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars!

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