Freitag, 1. November 2019

Rezension: Anleitung zum Widerspruch // Franzi von Kempis


WAS SAGT MAN, WENN ...


Meine Meinung
"Der Klimawandel findet nicht statt."
"Der Klimawandel ist nicht so schlimm."
"Den Holocaust gab es nicht."
"Der Holocaust hat mit mir nichts mehr zu tun."
"Impfungen verursachen Autismus."
"Kondensstreifen sind giftige Chemtrails."
"Wir dürfen in muslimischen Ländern auch keine Kirchen bauen."
"Man darf ja wohl noch Kritik äußern dürfen."
"Frauen sind doch längst gleichberechtigt."
"Männer und Frauen sind von Natur aus verschieden."
"Flüchtlinge bekommen mehr Geld als bedürftige Deutsche."
"Es findet ein Bevölkerungsaustausch statt."

Kommen euch einige der Aussagen bekannt vor und wisst ihr manchmal nicht, was ihr darauf sagen sollt? Ihr habt anderes Wissen/andere Einstellungen/eine andere Meinung, seid aber unsicher, wie man am besten bei solchen komplexen Themen richtig diskutiert bzw. was man überhaupt antworten kann? Dann könnte das Buch etwas für euch sein.

Mit "Anleitung zum Widerspruch" gibt Franzi von Kempis eine Hilfestellung in Form von Fakten, rhetorischen Tricks und Tipps für Diskussionen, um bei fraglichen Argumenten, wie oben angeführt, nicht mehr einfach sprachlos dazustehen, sondern selbstbewusst zu widersprechen. Das Buch ist in unterschiedliche Kapitel eingeteilt, die Antworten geben, wenn man mit Menschen spricht, die: den Klimawandel leugnen; Antisemitismus verbreiten; an Verschwörungstheorien glauben; denken, dass der Islam ihr Abendland zerstöre; ein Problem mit Frauen oder Gender haben; gegen Geflüchtete hetzen. 

Die Autorin hat zu jedem Themengebiet unglaublich viel Wissen - vor allem aus Studien - zusammengetragen und sprachlich so weit heruntergebrochen, dass man es wirklich sehr gut versteht. Leider war ich mit den Informationen nicht immer ganz so zufrieden. So schreibt sie am Anfang von gefährlichem Halbwissen, das oft verbreitet wird. Ich hatte auch oft das Gefühl, dass ich mir hier Halbwissen aneigne und ich selbst noch ganz viel googeln bzw. jeden einzelnen Literaturverweis selbst nachlesen müsste, damit ich ihre Fakten gefahrlos wiedergeben kann, denn wenn sie schon die/den Leser*in dazu auffordert, alles zu hinterfragen, muss ich natürlich auch ihr Buch hinterfragen. In gewisser Weise ist es wahrscheinlich auch gewollt, sich selbst noch intensiver und über dieses Buch hinaus mit den Themen zu beschäftigen. Was ich gut finde.

Es gibt ein riesiges Quellenverzeichnis hinten im Buch, oft wollte ich während des Lesens etwas nachlesen, es war mir aber zu mühsam, hinten die Quelle rauszusuchen und habe es meistens gelassen. Mir fehlte ein bisschen die kritische Betrachtung der Quellen in ihren Ausführungen, also warum sie gerade diese ausgesucht hat. (Ich weiß, das Buch wäre dann mindestens doppelt so lang und hätte zu große Ausmaße angenommen, aber der Wissenschaftlerin in mir hat das ganz stark gestört.) Was mir als Österreicherin noch aufgefallen ist: Die Autorin geht von der deutschen Rechtslage aus, viele Zahlen und Fakten stammen nur aus Deutschland wie z.B. die Höhe der finanziellen Unterstützung für Flüchtlinge.

Das Buch schafft es, einen ersten Überblick über Kontext und Hintergründe sowie psychologische Faktoren bei Gesprächspartner*innen zu geben. Es verleitet dazu, sich noch mehr einzulesen, da die Autorin natürlich nicht auf alles so genau eingehen konnte. Am Ende jedes Kapitels gibt es die wichtigsten Argumente gegen eine bestimmte Aussage kompakt zusammengefasst, sozusagen als Spickzettel, falls man mal schnell, z.B. online, etwas sagen/schreiben will. Die Autorin setzt ganz viel auf Selbstreflexion: Wie diskutiere ich selbst eigentlich? Was kann ich machen, dass eine Diskussion konstruktiv verläuft und ein Miteinander statt ein Gegeneinander stattfindet? Hilft es immer zu diskutieren oder sollte man einfach auch mal klar sagen, dass das falsch und indiskutabel ist?

Fazit
Ein wichtiges Buch, das einem Zuspruch gibt, bei fraglichen Äußerungen von anderen unbedingt etwas (dagegen) zu sagen und falsche Aussagen nicht einfach so stehen zu lassen. Außerdem gibt es Hilfestellung für erfolgreiches Diskutieren. Bei manchen Themen kennt man sich besser aus als bei anderen, weiß aber trotzdem oft nicht, was man sagen soll. Hier sind klare Antworten formuliert, die man in Gesprächen einbauen kann. Besonders haben mir die rhetorischen Hinweise gefallen.





Infos
  • Autorin: Franzi von Kempis lebt und arbeitet als Journalistin in Berlin. Mit dem ironisierten Titel »Die besorgte Bürgerin« hat sie im Netz eine eigene Video-Marke etabliert, die Falschinformationen und Hetze inhaltlich Kontra bietet. Seit 2018 leitet sie als Chefin-vom-Dienst den Bereich Video für die t-online.de-Redaktion. (Quelle: https://www.randomhouse.de/Autor/Franzi-von-Kempis/p640687.rhd 1.11.2019)
  • Seitenanzahl: 288 Seiten
  • Einband: flexibler Einband
  • Verlag: Mosaik
  • ISBN: 978-3-442-39355-8



Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars!

2 Kommentare:

  1. Liebe Anja,

    da haben wir ja dasselbe Buch rezensiert und auch noch fast zum selben Zeitpunkt :) Ich stimme mit dir absolut überein, dass man natürlich auch mit den Quellen innerhalb des Buchs kritisch umgehen sollte und so komplett, wie die Autorin manches abtut... da dachte ich auch manchmal: ist der Blick vielleicht zu einseitig.
    Ich denke es ist eine schwere Balance zwischen Lesbarkeit und Verständlichkeit auf der einen und der wissenschaftlichen Fundierung auf der anderen Seite. Bei manchen Antworten schien mir das besser gelungen als bei anderen.

    Natürlich ist es eine ganz andere Frage, ob man die Fakten auch im Nachgang in einem Gespräch noch parat hat und ob man mit der jeweiligen Person überhaupt diskutieren kann.

    Liebe Grüße,
    Nico

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    1. Lieber Nico,
      ich bin gerade froh, dass nicht nur ich das in Bezug auf die Quellen so sehe. Mit der Vereinbarkeit der beiden Seiten, die du erwähnt hast, gebe ich dir recht - das ist ihr nicht immer so gut gelungen, aber vielleicht hatte ich dahingehend auch zu hohe Ansprüche.

      Für mich war es unmöglich, mir alle Fakten zu merken. von Kempis geht davon aus, dass man diskutieren kann/will. Wenn das nicht geht, ist das Ganze sowieso irrelevant.

      Liebe Grüße
      Anja

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